Diplomausstellung “Bilder im Spannungsfeld zwischen Zeichnung und Malerei” von Christian Eich, 9.2.2006

Leitfaden meiner Arbeit ist diejenige Spannung innerhalb der Bilder, die aus der unterschiedlichen, teils sogar konträren Wirkung der einzelnen, technisch unterschiedlich entstandenen Bildelemente in ihrer Begegnung auf dem Malgrund herrührt. Diese Elemente, treffender vielleicht als Grundelemente oder Prinzipien bezeichnet, fügen sich als Teile im Bild zum großen Ganzen. In ihrer Synthese, in Harmonie oder im Wettstreit miteinander findet das Bild sein „mehr“ über das bloße Zusammenfügen einzelner Teile zum Füllen der Leinwand hinaus, einen künstlerischen Ausdruck. Bei diesen Prinzipien handelt es sich zum einen um das „Malerische“, das „Flächige“, und zum anderen um das „Zeichnerische“, das „Lineare“, und die sich hieraus ergebenden Unteraspekte, was an späterer Stelle verdeutlicht werden soll. Dies ist das Baumaterial für die Bilder dieser Reihe.Nicht die Darstellung eines Ausschnittes der Wirklichkeit, sondern die Schaffung einer neuen Wirklichkeit im Bild soll gelingen. Reale äußere Gegebenheiten, ein Model, eine Architektur oder sonst eine interessante Situation war und ist für mich „nur“ noch Anlass und Inspiration, keinesfalls mehr Vorbild der Gestaltung. Formen wurden von mir zwar noch aufgenommen, jedoch im Bild unter der ausschließlichen Beachtung ihrer Bedeutung für den bildinternen Wirkungskomplex genutzt. So entdeckte ich im Zeichnen den Eigenwert der Linie, die Dynamik, die schon in ihrer Entstehung aus einer Bewegung heraus begründet liegt, und somit ihre potentielle und für mich unbedingte völlige Lösgelöstheit von Zweck. Die Linie ist eine Linie und genügt sich darin völlig.

Den zweiten großen Formenkomplex liefert die Transformation bestimmter Formen in einzelne Linien, Linienbündel oder Linienkomplexe. Auch hier liefert das äußerlich Vorgefundene nur Impulse für die Formen im Bild. Durch die so entstandenen Elemente des Bildes ist in meiner Arbeit allerdings nur der Boden bereitet, das Bild mit seinen eigenen Forderungen und Gesetzmäßigkeiten schaltet nun die Realität sozusagen aus. Die Relationen von Linien und Flächen, Formen und Farben, Statik und Dynamik, das Entstehen von Bildraum, um nur einige Aspekte zu nennen, erfordern nun das Arbeiten allein im Bild, wobei Entscheidungen einerseits stets intuitiv, andererseits doch sehr konstruktivistisch erfolgen. Freie Formen kommen anschließend gleichwertig zur Komposition hinzu.

Einen Grund für die konkrete Ausbildung meiner Formensprache und Arbeitsweise ist sicher auch in der Beschäftigung mit den diversen druckgrafischen Techniken zu finden, denen ich im Laufe meines Studiums begegnete. Allgemein kann die Methode, das Bild in Schritten aus einzelnen Elementen aufzubauen, mit meiner druckgrafischen Vergangenheit erklärt werden. Man könnte deshalb sicher soweit gehen, meinen Bildern einen grafischen Charakter zuzusprechen, da die Arbeitsprozesse, obwohl technisch im engeren Sinne schon durch die Werkzeuge „Pinsel oder Griffel“ als malerisch bzw. zeichnerisch definiert, doch eher der Druckgrafik nahe stehen.

„Die geometrische Linie ist ein unsichtbares Wesen. Sie ist aus der Bewegung entstanden, […] hier wird der Sprung aus dem Statischen ins Dynamische gemacht.“ Das zeichnerische Prinzip innerhalb meiner Arbeit kann getrost auch als das dynamische Prinzip bezeichnet werden. Es liegt ja im Wesen der Linie, dass sie aus einer Bewegung heraus entsteht, aus einer Anwendung von Kraft, mehr oder weniger. Sie ist praktisch der größte Gegensatz zum malerischen Urelement der Fläche mit ihrer geschlossenen Ruhe. Vielerlei Arten von Linien sind möglich, doch ihnen ist immer die Bewegung anzusehen, aus der heraus sie entstanden sind, anhängig ihre Richtung. Einzelne Formen wurden in mehreren Schwüngen der Zeichenhand zu Linien, die sich bündelten, kreuzten, durch freie Linien ergänzt ein Eigenleben entwickelten.

In meiner Arbeit kommt die solitäre, freie Linie kaum noch vor. Dies ist ebenso Ergebnis des Entstehungsprozesses des linearen Anteils meiner Technik, in dem ich in die anfänglich gegenständliche Anwendung der Linie oft wiederholte und modifizierte, bis schließlich die ursprünglich zu bezeichnende Form einer komplexen Linienstruktur gewichen war, die sich völlig autonom im Bildzusammenhang darstellte. Der Arbeitsprozess ist sehr von spontanen Gesten, von Intuition dem „sich Verlieren“ in der Arbeit geprägt uns stellt damit einen Gegenpol zu der präzis-konstruktiven Herstellungsweise meiner Flächen dar, wie noch erklärt werden soll.

Durch unterschiedliche Grade der Verdichtung entstehen Hell-Dunkel-Unterschiede, die im Extremfall sogar zu einer entropischen Verdichtung, zum Verschwinden der einzelnen Linie in der Masse führen, die jedoch noch strukturiert ist. Die hier entstehenden „Flächen“ können kaum als solche bezeichnet werden, gerade im Vergleich zu den anderen Bildelementen, da sie kaum greifbar, also nicht fest umrissen, und in sich sehr stark differenziert sind. Die Bezeichnung Linienkomplexe ist hier treffender.

Auch die strukturelle Irritation der Liniennetze übt auf den Betrachter einen Reiz aus. Er wird verunsichert, weil sein Bedürfnis nach konkreter Form nirgends einen Ansatz findet. Noch verstärkt wird dieses Phänomen dadurch, dass bei der malerisch-flächigen Gestaltung, dem anderen Prinzip meiner Bilder, einfache klare Formen dominieren, worin wir bei einem wesentlichen Aspekt der Polarität dieser beiden Prinzipien finden.

Die Kreuzung der Linien, mal zentral, mal azentral, mal im spitzen oder stumpfen Winkel, können verschiedenartigste Ausdrücke erzeugen, bringen bei mir jedoch stets das Bild zum „Schwingen“. Die Linien Scheinen sich in verschiedenste Richtungen zu bewegen, manchmal Flächen zu durchstechen und durch die verschieden Winkel Bildraum zu erzeugen, jedoch nicht in einem illusionistischen Sinn. Das zusammenwirken der Linie ergibt in sich einen „Klang“ von Formen, eine musikalisch anmutende Dynamik.

Das malerische Prinzip meiner Arbeit bedarf zu Beginn einiger Präzisierung. Wenn ich in meiner Arbeit „male“, was ich definitiv durch das Auftragen von Farbe mittels eines Pinsels auf die Leinwand tue, so geschieht dies fast immer in einer Art und Weise, die sich von der klassischen Malweise deutlich unterscheidet. Ich setze Farbflächen in meine Bilder, nicht der einzelne Pinselstrich ist die gewollte kleinste Einheit meiner Bilder, sondern die geometrische Farbfläche. Diese ist so scharf konturiert, wie es auch bei noch so großer handwerklicher Meisterschaft mit dem Pinsel kaum erreichen ließe. Sie ist ebenso monochrom, den Verweis auf die Druckgrafik als Hintergrundmoment haben wir schon geleistet. Durch dieses „Prinzip der Einfachheit“ stellt mir das malerische Grundelement meiner Bilder Module oder besser Einzelelemente zu Verfügung, die zur Konstruktion des Bildes genutzt werden.

Diese einzelnen Flächen sind an und für sich eher statische Elemente im Vergleich zur genuin dynamischen Linie meines Stils, welche jedoch im Wirkungskomplex des Bildes durch die Beziehung untereinander, durch die Farbgebung bzw. auch hier die Farbbeziehungen und die Polarität zur Linie wesentlich für die Bilddynamik sind. Gleichzeitig verleiht die Kombination der Flächen dem Bild das Gerüst, eine sichere Statik.

Abweichungen von dieser Arbeitsmethode, d.h. dem Erstellen präziser monochromer geometrischer Flächen, können in meiner Arbeit durchaus vorkommen, sofern sie dem Bild zuträglich sind, so kann z. B. das erzeugen von Farbverläufen innerhalb einer Binnenfläche das Auseinanderfallen des Bildes in verschiedene Ebenen verhindern, auch das gelegentliche zulassen erkennbarer Pinselstriche zur zusätzlichen Dynamisierung der Komposition kommt vor.

„Zum Leben braucht der Mensch die Farbe. Sie ist ein ebenso notwendiges Element wie das Wasser und das Feuer.“ Der Farbe, ebenfalls ein autonomes Element innerhalb des Elementaren der autonomen Bildfläche, kommt natürlich bei einer „malerisch-grafisch-zeichnerischen“ Werkreihe eine große Bedeutung zu. Befreit von jeder außerkünstlerischen Belastung nach meiner Sicht der Dinge, also von Darstellungsaufgaben oder Bedeutungsballast, soll sie nur noch im Wirkungskomplex des Bildes ihr Spiel entfalten.

Innerhalb meiner Bilder verwende ich Farbe intuitiv, was vielleicht hinsichtlich des Arbeitsprozesses paradox erscheinen mag, der ja sehr durch das sukzessive Einbringen einzelner Bildelemente eher einen „Konstruktionscharakter“ aufweist. Keinesfalls ist dies so gemeint, dass ich Farben spontan verwende, ihr Vorkommen im Bild ist nur nicht das Ergebnis farbtheoretischer Überlegungen. So ist das häufige Auftreten der Farbe Blau in unterschiedlichen Tönen nicht einem großen Plan entsprungen. Auch bei bewusster Anstrengung zu anderen Farben hin greifen meine Hände häufig wieder doch auf diesen Farbtopf zurück.

Im Spiel der Bildelemente ist natürlich auch das Element der Farbe nicht sklavisch auf eine Rolle festgelegt, auch wenn im Rückblick eine Erläuterung der Haupttendenzen in ihrer Verwendung möglich wird. „Die Sichtbarkeit jeder Malerei ist >flach< im Verhältnis zu jeder messbaren dritten Dimension, und sie ist >räumlich< im Verhältnis zu jeder materiellen Oberfläche.“ Dieses einleitende Zitat vermag die Sonderstellung des Raumes in meinen Bildern und innerhalb vieler anderer Arbeiten der modernen Malerei verdeutlichen. So wie meine Bilder nicht Darstellungen realer „Gegenstände“ sind, sondern Kompositionen autonomer Bildelemente, die sich selbst genügen, sowenig ist das Element des Raumes, das sicherlich in meinen Bildern eine große Rolle spielt, zum Zweck der Schaffung einer Raumillusion im Sinne der Darstellung „äußerer“ Realität von mir eingebracht worden. Der „Raum“ im Bild ist hier wiederum ein eigenständiges Element, der Ausdruck von Kräften innerhalb der Komposition, ein Spannungsbogen, der nur hier funktionieren kann und soll. Der Bildraum entsteht durch die Verwendung der Formen, Größen, Richtungen und Farben und steht durch die Gesetzmäßigkeiten unserer Wahrnehmung selbstverständlich mit dem realen Raum in Verbindung.

Raum ist zum ein die unendliche Leere in der Umgebung, in unserer Wahrnehmung erfassbar durch seine Begrenzungen, durch Gegenstände und ihre Form. Das Assoziationspotential, das der Betrachter bezüglich eines möglichen, der Gestaltung zugrunde liegenden Gegenstandes haben sollte, gilt hier genauso für eine auf den ersten Blick denkbare „realitätstaugliche“ Raumdarstellung. So findet sich beispielsweise innerhalb eines Bildes die Anwendung zentralperspektivischer Konstruktionsmethoden in der Anordnung einiger Farbflächen, was der Betrachter sofort spürt, was jedoch im selben Moment dadurch konterkariert wird, dass in einem anderen Bildbereich die Flächen einer Isometrie entnommen scheinen, und freie Linienbündel gar keiner Gesetzmäßigkeit bezüglich „richtiger“ Räumlichkeit unterworfen sind. Der Betrachter wird irritiert, das zuerst vermutete bekannte räumliche Darstellungsschema wird bei genauerem Blick nicht bestätigt, das Bild jedoch „in Schwingung“ versetzt, belebt, mit „Bildraum“ erfüllt. Kritisch betrachtet handelt es sich bei um den Schein eines Scheinraumes….

Streng genommen entsteht bei meiner Arbeitsweise in jedem Schritt Raum im Bild. Schon der einzelne Strich erschafft ihn dadurch, dass er das Bild in zwei Ebenen gliedert, den Bildgrund und die Ebene des Striches auf diesem liegend. Durch das sukzessive Aufbringen der einzelnen Bildelemente, der Linienbündel und Farbflächen, entstehen viele derartige Arbeitsebenen. Durch bewusste Überschneidungen entsteht eine teils unerklärliche Tiefenstaffelung. Auch die Farbgebung hat natürlich Einfluss auf die Raumwirkung, einzelne Teile springen vor oder treten zurück, je nach Tonwert. Das dies nur in wenigen Fällen mit dem klassischen oder „logischen“ Bildaufbau korreliert, erscheint nur konsequent. So kann beispielsweise ein Hintergrund in knalligem Orange hervortreten, obgleich er im Bild eindeutig hinten zu verorten wäre, da er andere Elemente trägt. Auch die in unterschiedlichen Richtungen verlaufenden, sich kreuzenden und bündelnden Linien scheinen den Grund in den Raum hinaus zu verlassen, ähnlich einer Vektorengrafik, jedoch in keinem Gerüst von Regeln befangen.

Am fruchtbarsten für den Spannungsaufbau des Elementes Raum im Bild erscheint jedoch das Spiel mit der Perspektive. Durch transformierte Reste illusionistischer Darstellungsmethoden wird der erwünschte „Schauer des Bekannten“ beim Betrachter erzeugt.

Punkte geraten in Bewegung und werden zu rasenden Linien.

Linien krallen sich in Flächen hinein und behaupten sich dort.

Eine gezeichnete Linie, eine gemalte Fläche …. jeweils schon eine Welt für sich

„Äußerlich ist jede einzelne zeichnerische oder malerische Form ein Element. Innerlich ist nicht diese Form selbst ein Element, sondern die in ihr lebende Spannung.“

Folglich ist gerade im Hinblick auf diese Arbeit festzuhalten, dass nicht die äußeren Formen den Inhalt meiner Arbeiten ausmachen, sondern die ihnen innewohnenden Kräfte und mehr noch das Leben, das diese Elemente durch ihr Wechselspiel erschaffen. Erst in der Relation kommt die Qualität des Einzelnen voll zum tragen. Meine Bilder sind also als dynamische Kompositionen zu betrachten, als Wirkungskomplexe. Die Elemente sind im Bild in einer polarisierenden Weise verwendet, obschon die die Einzelelemente gewisse Qualitäten besitzen. Meine Linien sind energetisch aufgeladen, verkörpern Bewegung, Spontanität und erschaffen schon für sich betrachtet komplexe Bezugssysteme. Die nach dem „Prinzip der Einfachheit“ erstellten flächig-malerischen Bildelemente konstruieren auf gänzlich andere Weise Bildraum, besitzen in sich eine gewisse Stabilität, können auf Grund ihrer Form und Anordnung jedoch auch eine gewisse Spannung erzeugen. Das Spiel der Farben, Hell und Dunkel, Schwung und Gerade, bunt und unbunt, Expressivität und Ruhe, all diese Zusammenstellungen im Bild in ihrer jeweils unterschiedlichen Gewichtung machen durch ihre wechselseitige Beeinflussung und Steigerung das Wesen meiner Bilder aus. Die Koexistenz dieser Gegensätze in einem Bild zu verwirklichen ist allerdings mit einem schwierigen Abwägungsprozess verbunden, denn schnell kann die gewünschte Spannung in einen Konflikt der Kräfte umschlagen. So ist denn in jedem meiner Bilder die Gewichtung verschieden, nie sind alle Kräfte voll entfesselt, nur ausgewählte Aspekte dürfen ihr Spiel voll entfalten. In wie weit es gelungen ist, den Dialog der Element zu verwirklichen und damit die Bilder zum Leben zu erwecken, dies sei dem Betrachter überlassen….

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